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BauLust-Positionen 2004

Zum Umgang mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände

Der Verein BauLust e.V. – Initiative für Architektur und Öffentlichkeit – hat sich in den Jahren 2000 bis 2004 intensiv mit dem Reichsparteitagsgelände der Nationalsozialisten in Nürnberg beschäftigt. Diese Arbeit ist in zahlreichen Protokollen, Veröffentlichungen und Zusammenfassungen belegt. Die intensive Beschäftigung mit dem Thema führte zur Standortbestimmung von BauLust. Dazu liegt nun dieser zusammenfassende Bericht (pdf) vor.

Leitgedanken

Zeugnisse der NS-Zeit sind als Geschichtsquellen in ihrem heutigen Aussehen, das bereits nur noch Reste eines früheren Zustands darstellt, zu bewahren. Angestrebt wird weder ein bewusster Verfall noch eine Rekonstruktion der Bausubstanz.

Das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände mit dem Studienforum ist der Nukleus für die Auseinandersetzung mit dem Gelände und der NS-Zeit. Es wird sukzessive ausgebaut.

Anstöße zum Nachdenken und die Wissensvermittlung müssen über das Areal des Dokumentationszentrums hinausgehen, das gesamte Gelände ist als Lernort zu begreifen.

Auseinandersetzung mit dem Reichsparteitagsgelände erfordert einen offenen Prozess, einen öffentlichen Dialog ohne vorgegebenes Ende. Vordefinierte städtebauliche oder architektonische Gesamtlösungen kann es deshalb nicht geben.

Nürnberg orientiert sich an selbst auferlegten Zielen im Umgang mit dem historischen Areal.

Ziele

Nürnberg ist verpflichtet, sich mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände auseinander zu setzen. Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie.

Nürnberg ist sich bewusst, dass dabei die Stadt Hauptverantwortung für ein nationales Erbe trägt, was auch bedeutet, dass Nürnberg nicht alleingelassen werden darf bei der Bewältigung dieser Aufgabe; Bund und Land sind weiterhin in der Pflicht.

Informationsinseln im Gelände vermitteln in kompakter Form Grundwissen über die NS-Zeit.

Kontrapunkte zum historischen Erbe setzen durch künstlerische Interventionen auf dem Gelände und in den Gebäuden, als Antwort auf die auf 1000 Jahre angelegte NS-Architektur. Kunst soll eingreifen, sich reiben und Irritationen provozieren; der freie Raum darf jedoch nicht musealisiert werden.

Volksparkgedanken stärken und ausbauen.

Schutzzone

Wo und wie?

  • Respektsgrenzen definieren
  • Reaktionsgrenzen ziehen
  • Bereiche erkennen, in welchen sensibel agiert werden muss
  • Was ist für die Erfassung der räumlichen und geschichtlichen Dimensionen wichtig?
  • Was braucht der Betrachter für die Verarbeitung der Eindrücke?

Schutzzone als Atempause für die Erarbeitung eines inhaltlichen Konzeptes mit relativem Konsens in der Stadt, durch Anerkennung der in den letzten Jahren unglücklich festgelegten Bebauungen, aber Verhinderung weiterer undiskutierter Landnahmen von Messe und kommerziellem Massensport.

Sensible Bereiche

Sensibel ist alles im unmittelbaren Umgriff der NS-Bauten und deren geplante Achsen und Beziehungen untereinander.

Zentrum der gegenwärtigen Überlegungen muss die Frage bilden, wie die Absichten der Nationalsozialisten lesbar bleiben, nämlich Größe und Bedeutung des Dritten Reiches durch Kollossalbauten, Symmetrieachsen und die riesigen Ausmaße zu demonstrieren.

Ein großer Teil des Geländes ist bereits überbaut (Langwasser, Messe, etc.) oder zugewachsen. Es bedarf einer Verständigung, welche Bauten und Aufmarschstraßen für die Erinnerungsarbeit erhalten und erlebbar werden sollen.

Akkupunktur-Punkte

  • Kongresshalle + Dokumentationszentrum
  • Zeppelintribüne + Zeppelinfeld
  • Silberbuck + Silbersee
  • Luitpoldhain

Kraftlinien (Achsen)

  • Große Straße
  • Sichtachse von Führerkanzel zum Deutschen Stadion
  • Visualisierter Blick ins Deutsche Stadion

Maßnahmen

Kongresshalle

  • Beseitigen des Baumbewuchses bis auf wenige Solitäre
  • Gestaltung des Volksfestplatzes, Begrenzung, Begrünung
  • Deutliche Zugänge zum Gelände schaffen
  • Aufwerten des Platzes um die Kongresshalle durch hochwertigere Kulturveranstaltungen im direkten Umfeld

Zeppelintribüne

  • Goldenen Saal ganzjährig zugänglich machen
  • Möblierung der Interimsnutzungen nicht fest installieren (200 Meilen von Nürnberg)
  • Informationspavillon gegenüber der Tibüne vorsehen

Luitpoldhain

  • Hinweise auf die Reichsparteitage 1934, 1935 etc.
  • Lage der Luitpoldhalle von 1912

Silberbuck

  • Ort an dem Ursache und Wirkung sichtbar gemacht werden können, Schnitt in den Silberbuck zeigt Trümmer der Altstadt
  • Beseitigen des Baumbewuchses
  • Aussichtsplattform und bewußte Wegeführung mit Hinweisen und Erläuterungen
  • Ausmaße des Deutschen Stadions sichtbar machen

Achse Zeppelinfeld - Deutsches Stadion

  • Verbindungslinie Führerkanzel zum Deutschen Stadion (heute Silberbuck) freihalten
  • Messe-Parkhaus unterbricht diese Kraftlinie, sollte langfristig wieder sichtbar gemacht werden
  • Visualisierter Blick ins Deutsche Stadion mit Perspektivzeichnungen
  • Beschlossene Parkplatzplanung in dieser Achse zerstört diese Kraftlinie

Park-Ideen

  • Freizeitaktivitäten auf dem Gelände sind akzeptiert und ausdrücklich erwünscht
  • Infrastrukturmaßnahmen sollen die Erholungsfunktion der Parklandschaft weiter stärken. Als Ort der zwanglosen Begegnung und der nichtorganisierten Gemeinschaftlichkeit erfüllt das Gelände eine wichtige Funktion für eine pluralistische Stadtgesellschaft
  • Flächenverbrauch für zusätzliche feste und kommerzielle Nutzungen ist nicht angeraten, jedwede Bebauungsbegehren sind auf ihre Vereinbarkeit mit den Zielen zu diskutieren
  • Neugestaltung des Dutzendteichufers, Bezug zum Wasser herstellen

Park + Landschaft

Das Dutzendteichgelände war in den 20er Jahren als „Volkspark“ konzipiert, Stadion, Schwimmbad und Sportplätze und Kleingartenanlage stammen daher. Diese Ideen wurden von den NS-Planern aufgegriffen, überformt und für ihre Ziele genutzt und missbraucht.

Ziel ist, die Zeitschichten spürbar zu machen. Den totalitären Kulissen für Massenaufmärsche soll der vom Bürger individuell genutzte Grünraum (aus der Weimarer Zeit) gegenübergestellt werden.

  • Sichern der Flächen für die Park-Ideen
  • Bewusste Gestaltung der Freiflächen (Wettbewerb)
  • Gezielte Landschaftspflege, z.B. Freihalten von Bewuchs in bestimmten Bereichen (s. Maßnahmen)
  • Notwendige Infrastruktur schaffen an wenigen Stellen (Cafe, WC, Versorgung, Abfall, etc..)
  • Integration der „Kleingartenanlage“ in den Park

Erinnerungsort

„Reichsparteitagsgelände“

  • Keine baulichen Eingriffe und Landnahmen bevor nicht ein inhaltliches und planliches, jedoch „offenes“ Konzept vorliegt
  • Konzept bedeutet Verständigung über einen Abwägungsprozess bei geplanten Eingriffen
  • Wie will man mit den zunehmend dem Verfall ausgesetzten Bauwerken umgehen in 10, 20 oder 30 Jahren?

Die Positionen 2004 wurden durch die Arbeitsgruppe RPG 2000-2004 entwickelt.

Mitglieder: Werner Geim, Michael Popp, Professor Josef Reindl, Rudolf Sander (bis 2003), Alexandra Schwab (bis 2003) und Helge Wütscher.